Diskussion über den Ausbau der Eisenbahn im Korridor Hamburg – Hannover,
Bericht der „Allgemeinen Zeitung“ (Uelzen) vom 16. September „Klares Bekenntnis zu Alpha-E“

Sehr geehrter Herr Minister,

wie ich Ihrer Positionierung beim Statustreffen am 15. September in Celle entnehme, lehnen Sie eine Neubaustrecke der Eisenbahn in der Relation Hamburg – Hannover ab und befürworten die Realisierung allein der vom Dialogforum beschlossenen ursprünglichen Alpha-E-Variante. Ist Ihnen unbekannt, dass die Entscheidung des Dialogforums auf einer unbegründeten Behauptung basiert? Haben sich die verkehrspolitischen Bedingungen seit dem Dialogforum nicht spürbar gewandelt? Hätte der Bundestag bei seiner Entscheidung über das Projekt diese Fakten ignorieren sollen? Nun zur Sache.

Ein unzureichend informiertes und daher überfordertes Dialogforum hat am 5.10.2015 beschlossen, dass die Leistungsfähigkeit einer durchgehend dreigleisig ausgebauten Bestandsstrecke Ashausen – Uelzen den zukünftigen Verkehrsansprüchen gewachsen sei. Diese Behauptung ohne Untermauerung durch Fakten ist eine Fehlentscheidung „aus dem Bauch“. Sie kann daher nicht als Grundlage einer zukünftigen Gestaltung des Eisenbahnnetzes in Norddeutschland dienen. Das Kapazitäts-Defizit dieser Lösung ist im Minderheitsvotum des Dialogforums mit Maß und Zahl nachgewiesen. Einer bereits im Mai 2015 geforderten neutralen fachlichen Beratung in dieser Sachfrage wurde nicht entsprochen. Die Ermittlung der Leistungsfähigkeit von Bahnanlagen ist ein komplexer Bereich der Eisenbahn-Betriebswissenschaft, der nur von wenigen Fachkräften des Eisenbahnwesens beherrscht wird. Hierbei sind technisch-physikalische Vorgänge mathematisch zu beschreiben, die ein Ergebnis in Maß und Zahl zur Folge haben, das keinem „demokratischen“ Abstimmungsverfahren unterliegen kann. Die sachlich unbe-gründeten Voten eines Dialogforums oder auch eines Parlaments dürfen daher nicht das letzte Wort sein.

Eine technische Erläuterung: Wird eine zweigleisige Eisenbahnstrecke erweitert, so seien die Kosten sowie die Leistungssteigerung des Ausbaus auf Viergleisigkeit mit jeweils 100 % beziffert. Durch den Ausbau auf Dreigleisigkeit lassen sich die Kosten auf etwa 70 % der Viergleisigkeit abmindern, der Leistungszugewinn schrumpft hingegen auf lediglich 25 % (infolge der Nutzung des dritten Gleises in beiden Richtungen). Allein diese Diskrepanz spricht nur in Ausnahmefällen für einen dreigleisigen Ausbau. (Die 2014 vollendete Dreigleisigkeit nördlich Lüneburg setzte die Ergänzung durch die Y-Trasse voraus). Wird Im konkreten Fall die Viergleisigkeit durch eine zweigleisige Neubaustrecke ersetzt, sinken die Kosten eines Neubaus gegenüber dem viergleisigen Ausbau infolge der Vermeidung eines Umwegs (20 km) sowie der aufwändigen Umgestaltung der Bahnanlagen in Lüneburg und Uelzen.

Seit 2015 sind 7 Jahre entscheidender verkehrspolitischer Veränderungen vergangen. Die Ergebnisse der Welt-Klimakonferenz (Paris 2015) bedingen eine Verkehrswende, um Verkehr vom energiefressenden Kraftverkehr zur wesentlich energiesparsameren Eisenbahn umzulenken. Hiernach übersteigen die aktuell diskutierten Verkehrsmengen der Schiene das im Dialogforum betrachtete Maß. Die Politik des Bundes trägt dieser Entwicklung Rechnung und strebt laut Bundesverkehrswegeplan umfassendere Maßnahmen an, als sie das Dialogforum beschlossen hat. Und was geschieht im Lande Niedersachsen?

Die Landesregierung initiiert und fördert den Neubau von Autobahnen, stranguliert aber mit ihrem Festhalten an der ursprünglichen Fehlentscheidung die Eisenbahn. Eine sachliche Diskussion wird durch Ihre einseitigen öffentlichen Stellungnahmen erschwert. Bürgerinitiativen machen daraufhin mit Verbal-Keulen wie „Monstertrasse“ und „Trassenwahn“ mobil, obwohl eine zweigleisige Neubaustrecke der Eisenbahn gegenüber einer Autobahntrasse wesentlich schmaler und umweltschonender ausfällt. Diese emotionale Aufstachelung hat inzwischen persönliche Anfeindungen Mitarbeitern der DB Netz AG gegenüber zur Folge, die nicht mehr hinnehmbar sind. Hiermit wird eine faktenbasierte Diskussionskultur verlassen, in der bei einem technischen Projekt mit Maß und Zahl zu argumentieren ist, nicht mit Polemik. Jeglicher Neu- oder Ausbau von Eisenbahnstrecken wird auf den Widerstand lokaler Anrainer treffen. Aber letztlich ist der Staat verpflichtet, im Interesse des Gemeinwohls eine allgemein zumutbare Lösung durchzusetzen, die auch zukünftigen Ansprüchen gewachsen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Gez. Rudolf Breimeier